Taubstummenunterricht anno 1842
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|Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war bekanntermaßen ein Zeitalter der Pädagogik. Auch aufgeschlossene Pastoren nahmen sich ihrer an. Ein seltenes und anschauliches Zeugnis praktizierter Sonderpädagogik hat sich im Domarchiv Ratzeburg erhalten, auch wenn es ursprünglich aus der Kirchengemeinde Schlagsdorf (östlich des Ratzeburger Sees) stammt:
Das „Tagebuch über den Confirmandenunterricht des Taubstummen Schustergesellen Joach. Heinr. Planthaffer zu Thandorf, geb. zu Gr. Mist d. 10. Jan. 1814, vom 1. Febr. 1842 bis zum 4. Jul. 1842 d. J., desselben Confirmation am 8. S. n. Trin. 17. Jul. 1842“. Autor war der gelehrte Schlagsdorfer Pastor Carl Friedrich Ludwig Arndt (1787-1862).
Als Sohn und Enkel des Ratzeburger Domprobsten war Arndt tief verankert in den Pastorendynastien des Ratzeburger Landes. Er besuchte die Domschule in Ratzeburg und entwickelte ein reges Interesse an den Autoren der Antike, während die Bibel ihm noch eher fremd blieb. Bereits mit 17 Jahren bezog der gehorsame Pastorensohn die Universität Halle, um Theologie zu studieren, obwohl er sich nach späterem eigenem Bekunden mit dem Glauben lange schwer tat.
Nach dem Studium erwarb er sich, wie damals für junge Theologen üblich, sein pädagogisches Rüstzeug als Hauslehrer und Gymnasiallehrer in Lübeck, setzte dann seine pädagogische Laufbahn als Konrektor, Rektor und schließlich Direktor der Domschule Ratzeburg fort. Nach 26 Jahren im Schulamt übernahm er im Alter von 52 Jahren 1839 die Pfarrstelle in Schlagsdorf.
Er war gerade drei Jahre im Pfarramt, als er sein Tagebuch über den Taubstummenunterricht anlegte. Nicht zuletzt die Erfahrungen mit einer eigenen Behinderung im Kindesalter mögen den Willen in ihm geweckt haben, sich den Konfirmanden mit Behinderung, hier den Taubstummen, in besonderer Weise zu widmen. Denn es hieß von ihm: „Seine Kinderjahre verlebte er in großer Einsamkeit, ohne Umgang mit anderen Knaben, daher ihm immer eine große Blödigkeit [=Blindheit] eigen blieb“. (Die nach heutigem Verständnis scheinbar nahe liegende Interpretation des Satzes als „Da er als Kind einsam war, wurde er ein Soziallegasteniker“ dürfte die Intention des Satzes nicht treffen, entstammt der Satz doch dem Nachruf auf Arndt und – wir wissen ja –: de mortuis nihil nisi bene ;-)
Arndt benutzte vor allem Zeichnungen, um die Taubstummen in die Grundlagen des Glaubens einzuführen. Inwieweit die teilweise anrührenden Zeichnungen von ihm oder seinen Schülern stammen, ist nicht zu sagen. Die angefügten Abbildungen versinnbildlichen unter anderem den Gegensatz zwischen sündhaftem (Musik und Tanz, Spiel, Völlerei und Trunksucht) und tugendhaftem Tun (Arbeit, Ernte, Saat) sowie die Dinge, welche ins Himmelreich führen (Freigiebigkeit, Krankenpflege etc.) oder in die Hölle (Hochmut, Raub und Gewalt, Geldgier).
Unterschrift zum Bild des Hirten: „Der Herr wolle seine Gemeinde, wie der gute Hirte seine Schafe, weiden, leiten, versorgen, trösten und erhalten.“ (C.F.L. Arndt: Hinterlassener Abschied, 1862)
Landeskirchliches Archiv der Nordkirche, Nachlass Arndt, Carl Friedrich Ludwig (Pastor), Nr. 5 und Kirchenkreisarchiv Mecklenburg (KKAM), PfA Schlagsdorf, Nr. 10.
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